Beat fast slow (Audiodeskription)
Maryja Kalesnikawa, 1982 in Minsk geboren, ist Musikerin, Musikpädagogin, Bürgerrechtlerin und eine der führenden Oppositionellen in Belarus. Nach Studien in Minsk und Stuttgart pendelte sie lange zwischen Deutschland und ihrer Heimat, bis sie 2020 eine zentrale Rolle im Präsidentschaftswahlkampf gegen den autoritär regierenden Aljaksandr Lukaschenka übernahm. Nach den Massenprotesten gegen dessen mutmaßlichen Wahlbetrug wurde sie vom Geheimdienst verschleppt, misshandelt und zu elf Jahren Haft verurteilt. Seitdem ist sie unter extremen Isolationsbedingungen inhaftiert. Für ihren Mut erhielt sie zahlreiche internationale Menschenrechtspreise.
Das Schwarzweiß-Video von Alexander Schmidt Prozession in Grau zeigt die ukrainische Sopranistin Viktoriia Vitrenko, eine ehemalige Kommilitonin Kalesnikawas, in einem kargen, zellenartigen Raum. Die hell gekachelte Wand hinter ihr erinnert an Gefängnisberichte über Kalesnikawas Haft oder an Verhörsituationen. Vitrenko ist im Brustbild frontal zu sehen, ihr halblanges Haar offen, der Blick ernst, die Lippen geschlossen. Über der Aufnahme liegt ein grobes waagerechtes Zeilenraster, wie das einer analogen Videoaufzeichnung, und eine starke Unschärfe verwischt die Gesichtszüge.
Plötzlich fährt die Kamera in Sekundenschnelle auf ihr Gesicht zu – wie ein Schlag, der sie trifft und zurückschleudert. Ihr Kopf wird ruckartig nach hinten geworfen, der Hals überstreckt, das Haar fliegt. Die Bewegung verlangsamt sich abrupt im Zeitlupeneffekt. Noch im Nacken liegend richtet sie den Kopf langsam wieder auf; für einen Moment liegt ihre Halslinie im Halbschatten, das Gesicht fast völlig im Dunkel. Gleichzeitig erscheint der Schatten ihres Kopfes an der Wand.
Kaum hat sie die aufrechte Position erreicht, folgt erneut ein inszenierter Schlag. Diese Abfolge vollzieht sich insgesamt zehnmal, jedes Mal mit subtiler Steigerung: Die Zeitlupe dehnt sich, das Zeilenraster tritt klarer hervor, die Unschärfe nimmt zu. Schließlich stehen helle und dunkle Flächen in scharfem Kontrast – das Licht wirkt grell, unnatürlich. Die linke Augenpartie versinkt vollständig in Schwarz, die andere bleibt nur schemenhaft erkennbar. Mit jedem Rückstoß verlängern sich die Phasen, in denen sie der Kamera frontal begegnet. Der Schlag scheint heftiger zu werden, als würde er sie zunehmend nach links drängen. Während sie sich aufrichtet, fallen ihre Haare nur allmählich aus der Stirn; im letzten Aufrichten nimmt ihr Gesicht das gesamte Bildformat ein, vom Licht geisterhaft modelliert, wirkt es fast schädelhaft.
Langsam blendet die Szene in Schwarz aus. Die Bildsprache und visuellen Effekte von Alexander Schmidt verdichten Kalesnikawas persönliches Schicksal zu einem Sinnbild, das sich auf die Erfahrungen politisch engagierter Frauen weltweit übertragen lässt und den physischen wie psychischen Druck sichtbar macht, dem Gefangene in autoritären Systemen ausgesetzt sind.
