Abschrift des Originals
Quelle: BArch, ZC 4900 Bd.22 (Seite 1 und 2)
Stuttgart, den 26. Juni 1937
Herrn Rechtsanwalt
Dr. Widmann
Stuttgart, Marienstrasse
Ich bitte Sie als meinen Verteidiger mein Gnadengesuch an die zuständige Stelle weiterzuleiten.
Gnadengesuch
Ich bitte, von der Vollstreckung des Urteils, dass meine Eltern so schwer und unerwartet getroffen hat und dessen Vollzug die Arbeitskraft meines Vaters völlig vernichten würde, abzusehen. Ich fühle mich zu dieser Bitte darum berechtigt, weil ich mit Sicherheit annehmen darf, dass mein Vater im Fall meiner Begnadigung die Verdienste, die er sich bis jetzt um die Vervollkommnung der Technik und um die Wissenschaft erworben hat, noch um weitere vermehren wird.
Auch im Hinblick auf mein Kind möchte ich diese Bitte aussprechen. Wenn ich bei dauerndem Aufenthalt im Zuchthaus meiner Mutterpflichten, die mir das heiligste und Liebste sind, nie mehr und nur einigermaßen erfüllen könnte, so bliebe dem Kind aber wenigstens die Gewissheit, dass seine Mutter lebt und liebt wie kein anderer Mensch, und dass er sie nicht auf so grausame Weise hat verlieren müssen. Was eine ungeheure innere sowie äußere Belastung Zeit seines Lebens sein würde. Und was seine bisher so glücklich und gesund verlaufende Entwicklung tiefgreifend und nachhaltig erschüttern würde.
Ich spreche diese Bitte um Begnadigung nur mit dem Bewusstsein aus, dass ich mich der Tat, wie sie mir zur Last gelegt wird, auf Grund meiner Unerfahrenheit und Unkenntnis der Zusammenhänge, nicht in vollem Umfang für schuldig fühlen kann.
Liselotte Herrmann
„O! Wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte und er wurde gehört.“ (L. Van Beethoven)